Mainz. In einer gemeinsam erarbeiteten Stellungnahme sprechen sich die rheinland-pfälzischen Naturschutzverbände BUND, NABU und GNOR gegen die Planungen für die seit Jahrzehnten umstrittene Mittelrheinbrücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen aus. Fachliche Unterstützung hatten sie von der Bürgerinitiative Rheinpassagen und dem VCD Landesverband Rheinland-Pfalz erhalten.
Im Februar war das Raumordnungsverfahren formell eingeleitet worden. Die Auswirkungen von insgesamt sechs Varianten – drei verschiedenen Brückenbauwerken, einem Tunnel sowie zwei Varianten eines optimierten Fährbetriebes – wurden geprüft. Eine Brücke „in Tieflage außerhalb“ zwischen den Ortsteilen Fellen und Wellmich wurde in den Gutachten als die verträglichste Variante herausgestellt. Dieses Ergebnis basiert aber nach Einschätzung der Verbände auf falschen Annahmen und Berechnungen. So wurde nicht berücksichtigt, dass die Fähren nach Fertigstellung einer festen Querung ihren Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen einstellen. Die Landesregierung ist unterrichtet worden. Damit ginge ein wichtiger Bestandteil des Weltkulturerbes Mittelrhein und einer touristischen Attraktion in Europa verloren.
Zudem müssten Autofahrer*innen, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen große Umwege in Kauf nehmen, ebenso der Nahverkehr mit Bussen. „Wo heute mittels Einbindung der Fähren in den ÖPNV-Tarif (VRM-Tarif-Anerkennung) attraktive Rheinquerungen mit Anschlüssen an Bus und Bahn an beiden Ufern möglich ist, wird in Zukunft keine Nutzung des ÖPNV über den Rhein möglich sein, da die Brücke über drei Kilometer von den Bahnhöfen entfernt stehen soll und Busverbindungen über die Brücke nicht in Planung und Kostenrechnung berücksichtigt sind“, kritisiert Mario Pott (VCD) die einseitige Planung für den Kfz-Verkehr und gleichzeitige Verschlechterung der klimafreundlichen Verkehrsmittel. Es führt dazu, dass die Mittelrheinbrücke in ihrer Summe für die Bürger*innen mehr Nachteile als Vorteile haben wird.
Die Lage würde noch zusätzlich dadurch verschlechtert, dass die Brücke bereits ab einem Hochwasserpegel von 5,40 Metern nicht mehr umfassend nutzbar wäre, da dann die Überflutungen der Rhein-Parallelstraßen B 42 und B 9 einsetzen. Diese Situation tritt mehrfach jährlich ein. Bei einem Pegel von 5,80 Meter wäre die Brücke rechtsrheinisch nicht mehr erreichbar. Die Fähren könnten dann noch fahren; bei einem Ausbau der Rampen und Zufahrten sogar noch bis zu einem weitaus höheren Wasserstand.
Zudem ist völlig ungeklärt, wie mit der künftig zu erwartenden hohen Verkehrslast auf der L 334 aus Richtung Taunus umgegangen werden soll. Die von der Wirtschaft und der Politik geforderte Anbindung an die Autobahnen A 3 und A 61 zur Verbesserung des regionalen Verkehrs ist hier besonders kritisch zu sehen. Eine linksrheinische Anbindung an die A 61 kann nur geschaffen werden, wenn neue Zufahrten in Richtung Rheinhöhen gebaut werden. Dies würde Eingriffe von erheblichem Umfang in Natur und Landschaft erfordern. Die schmale und kurvenreiche Strecke, die von St. Goar in den Hunsrück führt, lässt einen Schwerlastverkehr nicht zu.
Insgesamt ist die Verkehrsuntersuchung unvollständig und nicht fundiert. Die zusätzlichen Verkehrsbelastungen der neu entstehenden Verbindung zwischen den Autobahnen sowie durch den Wegfall der Fähren werden nicht berücksichtigt. Die herangezogenen Baukosten der Brücke sind grob falsch dargestellt und um mindestens die Hälfte zu niedrig.
Im Wellmicher Bachtal befinden sich Wildkatzen- und Wildtierwanderkorridore von europaweiter Bedeutung. Das Gebiet um das westliche Gründelbachtal mit seinen Seitentälern ist ein Kernlebensraum der Europäischen Wildkatze. Durch die prognostizierte Verkehrszunahme in den Seitentälern – insbesondere auf der L 334, für die bei einer Realisierung der Vorzugsvariante mit einer Verdreifachung des Verkehrsaufkommens zu rechnen ist – werden diese Wanderwege und Lebensräume weiter zerschnitten, die Zahl an Wildunfällen wird steigen. Das Landschaftsbild wird massiv beeinträchtigt, dauerhaft verändert und zerstört.
In von der Presse veröffentlichten Fotomontagen wird die Höhe der „Brücke in Tieflage“ verniedlicht. Die tatsächliche Höhe von 27 Metern über Normalwasserspiegel ist vergleichbar mit der Pfaffendorfer Brücke in Koblenz und der Schiersteiner Brücke in Mainz. „Eine Verkehrswende sieht jedenfalls anders aus“, sagt Michael Carl, stellv. Landesvorsitzender des BUND. „Ganz abgesehen von der Gefahr, dass dem Mittelrheintal als einzigartiger Kultur- und Naturlandschaft der Status des Weltkulturerbes abhandenkommen könnte. Dieses Risiko gehen die politisch motivierten Brückenbefürworter*innen bewusst ein. Die damit riskierten Gefahren für den Tourismus, der im Mittelrheintal ohnehin in vielen Fällen darniederliegt, wollen sie bewusst nicht erkennen.“
Dazu sagt Karlheinz Witt (GNOR): „Statt ein raumordnerisches Konzept für die Zukunft zu entwickeln, wird in die alte Werkzeugkiste aus den 60er- und 70er-Jahren gegriffen: Straßenbau (Brücke) als vermeintlicher Retter.“ Ein reiner Fährbetrieb, auch mit einem erweiterten Konzept, wird nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, sondern dient nur als Vergleich, um rechtliche Anforderungen formal zu erfüllen. Dabei sollte eigentliches Ziel einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Regionalentwicklung sein, die vorhandenen Begrenzungen durch die Geomorphologie zu respektieren und zur Grundlage zu machen: Stichwort „Romantisches Rheintal“ in einer modernen Form.
Das enge Durchbruchstal des Mittelrheins bietet keinen Raum für große Siedlungs- und Verkehrsflächen. Stattdessen müssen kleinstrukturierte Betriebe und Einrichtungen rund um Weinbau und landschaftsbezogenen Tourismus gefördert werden. Ein weiteres wesentliches Ziel muss die Reduzierung der vorhandenen Umweltbelastungen durch die Verkehrswege sein, kein „Anlocken“ neuer, zusätzlicher Verkehre.
„Grundsätzlich weist der Bau der Mittelrheinbrücke in die falsche Zukunft“, so Carl. „Die notwendige Umstellung unseres kompletten Lebensstils, die als Ziel auch mehr und mehr in die Politik Einzug hält, erfordert, dass solche Projekte der Vergangenheit angehören. Es wird zu einer deutlichen Reduzierung des Individualverkehrs kommen müssen, was neue Brücken- und Straßenprojekte in Zukunft unnötig machen wird.“